Die Weltenwandlerin
Monika Grzymala ist eine zeitgenössische Künstlerin, die sich auf architektonische Intervention und Raumzeichnung spezialisiert hat. Im Jahr 2023 gewann sie den ersten Preis im öffentlichen Wettbewerb für den Katarinapark an Slussen, dem neuen Verkehrsknotenpunkt im Herzen der Stadt Stockholm. Die Wind-Klangskulptur „Himmelsharpa-Skyharp“ ist für den Aussichtspunkt auf die Stockholmer Skyline zwischen Ostsee-Hafen und Mälaren entwickelt worden und wir unterstützen Monika Grzymala bei der Realisierung für das Jahr 2026. Wir haben mit ihr über Ihren bisherigen Weg und ihre Arbeitsweise gesprochen.
»Jedes Werk startet mit der Linie.«
Als Bildhauerin, die zeichnet, arbeitet Grzymala mit vielfältigen Medien und verortet diese als ephemere oder permanente Interventionen im Raum. Für die meist großformatigen Formationen verwendet sie Materialien wie Klebebänder, bildhauerische Abformverfahren, handgeschöpfte Papiere, Projektion, Fotografie, Graphit, Pinselzeichnung und diverse andere Techniken; doch jedes Projekt beginnt zunächst mit einer Linie.
Frau Grzymala, Ihr künstlerischer Weg scheint von umfangreichen Einflüssen der Kunstwelt geprägt worden zu sein. Können Sie uns etwas über Ihren Werdegang von den frühen Jahren bis zum heutigen Zeitpunkt erzählen?
Ich habe nach meinem Abitur in Mannheim eine Ausbildung zur Steinbildhauerin in Kaiserslautern gemacht. Dort habe ich ein sehr umfangreiches Wissen von Kunstgeschichte, Aktzeichnen, Modellierung und Werkzeugherstellung vermittelt bekommen. Mir war es sehr wichtig, nach dem Abi erstmal eine kunsthandwerkliche Ausbildung zu absolvieren, da ich ein direkt anschließendes Studium als zu abgehoben empfand – und für ein Medizinstudium war mein Numerus Clausus zu schlecht (lacht). Im Studium an der Hochschule in Kassel zeigte sich eine deutlich rauere und konzeptuell ausgerichtete Atmosphäre. Während ich weiterhin eine gegenständliche Modellierung praktizierte, wurde ich von Professoren betreut, bei denen ein anspruchsvoller und strenger Lehransatz vorherrschte. Es fühlte sich an, als befände ich mich in einem Spannungsfeld zwischen psychotherapeutischen Sitzungen und Selbstfindungskursen (lacht). Dennoch konnten wir dieser Intensität etwas entgegensetzen: Gemeinsam mit Kommilitonen gründete ich im ehemaligen Wartesaal des Kulturbahnhofs das Stellwerk. Diese Einrichtung dient auch heute noch als Galerie und ist eine bedeutende Anlaufstelle während der Documenta. Als ich jedoch Bogomir Eckers Werk zum ersten mal sah, war es um mich geschehen: es hat mich physisch angesprochen: gebogene Bleche, Kunstwerke an den unmöglichsten Orten - er hatte eine komplette Baustelle in Aluminium gießen lassen und durch scheinbare Beiläufigkeiten große Spannungsfelder erzeugt. Ich bat ihn um ein Arbeitsgespräch und er lud mich spontan nach Hamburg ein. Er sagte damals etwas zu mir, was die Initialzündung für meine gesamte darauffolgende Arbeit sein sollte: „Monika, eigentlich musst du gar nicht so viel Aufwand betreiben, um das auszudrücken, was du möchtest; nämlich die Beziehungen und Verflechtungen zwischen Menschen und Räumen-dafür brauchst eine einfachere Sprache“. Wenige Wochen später zog ich nach Hamburg, um seine Studentin zu werden.
»Ab einem gewissen Punkt habe ich das Gefühl, die Autorenschaft abzugeben, weil die Werke für sich stehen können, wenn sie sich in einem fortgeschrittenen Stadium befinden.«
Ihre Arbeit erstreckt sich über verschiedene Medien und Materialien, von Grafik bis hin zu Skulptur. Wie wählen Sie das Medium für ein bestimmtes Projekt aus und was inspiriert Sie dazu?
Eigentlich ist es ein „Pas de deux“ mit dem Material. Neben meiner skulpturalen Arbeit schöpfe ich ja auch mein eigenes Papier, wo es teilweise um Molekularstrukturen von Baumwoll- oder Maulbeerfasern geht und tiefes Fachwissen gefragt ist, hier konnte ich durch die Zusammenarbeit mit meinem Kollegen Gangolf Ulbricht unheimlich viel lernen. Auch mein neuestes Projekt, die sogenannte „Skyharp“, die in Stockholm im Katarinapark platziert werden soll, hat einen sehr organischen Bezug zur Natur, denn es geht um wachsende Formen. Ich recherchiere zuerst sehr viel, begebe mich in die Thematik des jeweiligen Ortes bzw. der Situation, um zu einem späteren Zeitpunkt meine Assoziationen und Bilder mit einfließen zu lassen. Wenn der kreative Prozess stagniert, begebe ich mich auch gerne in die Räume, in denen das Kunstwerk später stehen soll und lasse sie auf mich wirken, um mich von meiner künstlerischen Intuition leiten zu lassen. Die Beziehung zwischen mir und meinen Werken verändert sich auch während des Prozesses: ab einem gewissen Punkt habe ich das Gefühl, die Autorenschaft abzugeben, weil die Werke für sich stehen können, wenn sie sich in einem fortgeschrittenen Stadium befinden. Dann gehören sie sich quasi selber und wenn sie dann an ihren Ort der Bestimmung kommen - ob im öffentlichen Raum oder der Galerie, dann gehört sie den Menschen dort.
Inwieweit verfolgen Sie die Möglichkeiten digitaler Medien und künstlicher Intelligenz – Sehen sie die fortschreitenden technologischen Entwicklungen als Fluch oder als Segen?
Ich bin Mitglied im Team „Shaping Space Open Lab“ an der UDK und TU Berlin, wo wir digitale Entwurfsmethoden untersuchen. Virtual Reality beispielsweise gibt mir die Möglichkeiten, Räume auf eine Art zu erkunden, wie es zuvor nicht denkbar war: Ich kann sogar die Decken entlanglaufen, was mir im steigenden Alter sehr entgegenkommt (lacht). Die neuen Technologien bringen daher viele neue Möglichkeiten mit sich, die mir die Arbeit erleichtern. Und bei KI kommt größtenteils auf den Nutzer an: die Maschine spuckt das heraus, was der Nutzer eingibt. Dennoch ist und bleibt das traditionelle Kunsthandwerk für mich in seiner Essenz extrem wichtig - vor allem das Papierschöpfen ist für mich ein meditativer Vorgang, ein richtiger „Zen-Moment“.
»Manche Werke sind bewusst Konstruktionen auf Zeit: Sie erblühen wie ein Strauß Blumen, sie verblühen langsam während der Ausstellungszeit und machen uns bewusst, dass wir alle eine begrenzte Zeit haben und dass die Schönheit der Dinge oft in der Kürze ihrer Lebensdauer liegt.«
Können Sie uns einen Einblick in Ihren Arbeitsalltag geben? Wie entstehen Ihre Ideen, und wie entwickeln Sie diese von der Konzeption bis zur Umsetzung?
Alle meine Arbeitsprozesse sind genuin und ich pflege eine sehr handwerkliche Herangehensweise; schon von der ersten Berührung an. Ich denke sozusagen mit den Händen, was man - glaube ich - auch deutlich sehen kann. Ob der erste Entwurf mit Graphit auf Papier geschieht oder per Knetmodell ist dabei nebensächlich. Hinzu kommt, dass nicht jeder Tag emotional gleich anzusiedeln ist: Oft gibt es auch Widerstände, die ich einfach hinnehmen muss, und ich mich dann eventuell erst am nächsten Tag mit frischem Kopf an die Lösung mache. Das gilt auch für die Arbeit in Museen: das sind meistens One-Shot-Aktionen, die aus mir herauskommen. Ich habe keinerlei Assistenten, die mir beim Aufbau oder der Installation helfen, da ich alles selbst mache. Und je nach Wahl des Materials kann ich entscheiden, wie ephemer das Ganze werden soll. Manche Werke sind bewusst Konstruktionen auf Zeit: Sie erblühen wie ein Strauß Blumen, sie verblühen langsam während der Ausstellungszeit und machen uns bewusst, dass wir alle eine begrenzte Zeit haben und dass die Schönheit der Dinge oft in der Kürze ihrer Lebensdauer liegt. Eine tolle Anekdote ist der kreative Briefwechsel zwischen Katharina Hinsberg und mir: Noch vor der kommenden Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim haben wir uns Skizzenbücher hin- und hergeschickt; ganz unbedarft ohne jeglichen Rivalitätsgedanken oder Leistungsdruck und es war eine sehr bereichernde Erfahrung, da wir die Arbeiten des anderen aufnehmen und weiterführen konnten. So konnten wir beide den Synergieeffekt nutzen und uns gegenseitig inspirieren. Die Aus-stellung in Mannheim wird übrigens vom 26.04.2024 - 25.08.2024 zu sehen sein.
In den letzten Jahren waren von Ihnen sehr beeindruckende Installationen in diversen Kunsthäusern unter dem Begriff „Raumzeichnung“ zu sehen. Was genau hat es mit diesem Begriff auf sich?
Der Begriff entstand im Austausch mit meinem letzten Professor Bogomir Ecker, bei dem ich meine Diplomarbeit absolviert habe. Plötzlich fiel dieser Begriff - lange bevor er so inflationär verwendet wurde. Es zeigte sich schon damals, dass der klassische Strich sich gerne vom Papier lösen und in den dreidimensionalen Raum treten möchte. Er landete unweigerlich auf der Wand, als mir das Papier ausging und transformierte sich plötzlich greifbar innerhalb des Raumes. Gerade meine Klebebandarbeiten entfalten eine gewisse Wuchtigkeit, auch wenn man dies zu Beginn einer solchen Installation nicht vermuten würde, dass ich aus ein paar Kartons mit Klebebändern riesige Architekturen bauen kann!
Was sind Ihre zukünftigen Pläne und Projekte? Gibt es bestimmte Themen oder Materialien, die Sie in Zukunft erkunden möchten, und welche Ziele haben Sie sich als Künstlerin gesetzt?
Mich reizt das Thema 3D-Druck allgemein sehr, da die Materialien und die Skalierbarkeit nahezu unbegrenzt sind: ob mit Harzen, Cellulose oder ganz aktuell mit Metall. Bei meinem neuesten Projekt „Skyharp“, das in Stockholm im Katarinapark zu sehen sein wird, arbeite ich ja momentan im engen Austausch mit der Arnold AG zu zusammen und ich bin sehr glücklich über die Möglichkeiten der 3D -Metalldruck-Technologie. Ich freue mich schon sehr darauf, den nächsten Zwischenstand live vor Ort sehen zu können!
Frau Grzymala, vielen Dank für das aufschlussreiche Interview.
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