Zeit zu blühen
Der Bezug zum einen Ursprung, der Entstehung von allem, und der damit eingeleitete Prozess der vielfachen Entfaltung - bestimmt Achim Rippergers schöpferische Arbeit. Das Verstehen, Würdigen und Sichtbarmachen dieser universellen Energie, ist Motivation für jede Skulptur. Mit der Kettensäge zieht er Striche in den Holzblock - wie als Zeichner einer Skizze. Bei jedem Stück sucht er nach seiner persönlichen Perfektion.
»Mich reizt der Transfer zwischen den Materialien.«
»Die Materialwahl hat auch viel mit meiner persönlichen Entwicklung zu tun: Erlebtes zu verarbeiten, im Leben anzukommen und mich phasenweise zu vertiefen.«
Herr Ripperger, Ihr künstlerischer Weg scheint von einer breiten Palette von Erfahrungen in der Kunstwelt geprägt zu sein. Können Sie uns erzählen, wie sich Ihre frühen Jahre an der Academy of Visual Arts in Frankfurt auf Ihre spätere Arbeit ausgewirkt haben?
Eine essenzielle Erkenntnis aus dieser Zeit ist, dass eine Idee erst durch die Umsetzung in die Realität eine Kraft entfalten und dann sogar über sich hinauswachsen kann, sich sozusagen selbstständig macht. Und einen objektiven Blick bei der Bewertung von Werken - auch den eigenen - zu haben, ist superwichtig. Als Künstler starte ich zuerst mit kreativen Impulsen, die urtümlich meinem Geiste entspringen und nicht direkt steuerbar sind; das sind meist Ideen für freie Projekte, die ich in erster Linie für mich selbst mache und die dann ihren Weg in die Öffentlichkeit, zu Sammlern und zu Galerien finden. Und dann gibt es natürlich noch die Marketingseite, die ich als Künstler bedienen muss. Ausstellungen organisieren, Kuratoren, Galeristen und Sammler finden, denn am Ende des Tages möchte ich meine Werke auch unter die Menschen bringen - und dieses Verständnis für Kommunikation konnte ich mir damals während meiner Studienzeiten sehr gut aneignen.
Ihre Arbeit erstreckt sich über verschiedene Medien und Materialien, von Grafik bis hin zu Skulptur. Wie wählen Sie das Medium für ein bestimmtes Projekt aus und was inspiriert Sie dazu?
Eine große Motivation ist stets die Suche nach dem perfekten Material und ich versuche, den Transfer verschiedener Medien zu schaffen. Die Neugierde und die Ahnung wie ein Material sich im jeweiligen Arbeitsprozess verhalten oder sogar verändern wird, treibt mich mindestens so stark an, wie die konzeptionelle Phase. Und oft ist die Wahl des passenden Materials rein zweckgebunden: Muss es witterungsbeständig sein, soll es gezielt altern, oder spielt das Gewicht eine Rolle? Einen gewollten Bruch im jeweiligen Anwendungsbereich zu schaffen, ist auch spannend und wichtig, um sich aus der Belanglosigkeit zu lösen. Was strahlt ein Objekt aus, das wie aus dem Kontext gerissen wirkt? Wird eine Faszination geweckt, wirkt es befremdlich, kontrastiert es mit seinem Umfeld? Die Materialwahl hat auch viel mit meiner persönlichen Entwicklung zu tun: Erlebtes zu verarbeiten, im Leben anzukommen und mich phasenweise zu vertiefen. Es hilft mir, mich mit unbekannten Materialien zu beschäftigen, um mich weiter zu entwickeln und im Fluss zu sein.
»Gerade jetzt müssen wir die europäische Gemeinschaft mit all den Privilegien und Möglichkeiten, die sie mit sich bringt, mehr wertschätzen, sie als ein Land betrachten und dafür einstehen.«
Ehrenamtliche Arbeit spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Leben, sei es Ihr Engagement für den Regenwald in Costa Rica oder das Kunstprojekt „Wahrheitskämpfer” . Wie beeinflussen diese Erfahrungen Ihre künstlerische Praxis und Ihre Sicht auf die Rolle von Kunst in der Gesellschaft?
Die Wahrheitskämpfer wurden von Susanne Köhler in Frankfurt ins Leben gerufen und sind für mich eine ehrliche, wahrhaftige Sache, der ich mich einfach anschließen musste; wir zeichnen ermordete und inhaftierte Journalist:innen aus der ganzen Welt. Auch wenn wir uns in unserem regulären Alltag oft machtlos fühlen, haben wir hiermit eine virtuelle Gedenkstätte geschaffen, mit der wir die Besucher nicht nur intellektuell informieren, sondern auch emotional erreichen können. Vielleicht kreieren wir mit der Ausstellung der Portraits einen Ort der Würdigung: des enormen Mutes, des Gemeinsinns und des Aufklärungswillens der gezeigten „Wahrheitskämpfer“.
Ihre Mitgliedschaft bei Art Moves Europe und Ihr Beitrag zum „European Sculpture Path“ zeigen ein starkes Engagement für die Förderung der europäischen Kunstszene. Was bedeutet es für Sie, als „Europa-Künstler“ ernannt zu werden, und welche Rolle spielen kulturelle Vielfalt und Zusammenarbeit in Ihrer Arbeit?
Es ist enorm wichtig für mich, für Meinungsfreiheit, Demokratie und gegenseitigen Respekt einzustehen: Die Grundlagen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben, egal welchen Geschlechts oder Herkunft. Ich sehe es als unsere Aufgabe, unsere Wahrnehmung von Europa künstlerisch zu interpretieren; die Grundidee einer toleranten, grenzfreien Gemeinschaft, die sich als große Familie versteht und miteinander kooperiert. Die europäische Idee steckt noch in den Kinderschuhen und ist immer noch im Entwicklungsprozess. Gerade jetzt müssen wir die europäische Gemeinschaft mit all den Privilegien und Möglichkeiten, die sie mit sich bringt, mehr wertschätzen, sie als ein Land betrachten und dafür einstehen.
»Oft ist mein Geist kurz vor dem Schlafengehen oder auch in der Phase vor dem morgendlichen Aufwachen am aktivsten und mein kreativer Gedankenfluss ist kaum zu stoppen.«
Ihre Skulptur „Supernova“ auf der Honsellbrücke in Frankfurt zeigt eine Verbindung zwischen Kunst und urbanem Raum. Wie sehen Sie die Rolle von Kunst bei der Gestaltung und Definition städtischer Umgebungen?
Ich als „Frankfurter Bub“ finde es spannend, ein Werk wie Supernova gegenüber der EZB bei Mirek Mackes Kunstverein Familie Montez aufstellen zu können. In einer Stadt, die nach außen immer schöner, höher und glatter wird und uns dadurch auch etwas zur Oberflächlichkeit verleitet, finde ich es wichtig, urige, polarisierende Arbeiten wie „Supernova“ platzieren zu können. Eine Stadt ist von der architektonischen Planung immer auch Design und Wegleitung, manchmal aber auch Fehlleitung. Deshalb erachte ich es als notwendig, solche Kunst-Räume im öffentlichen Raum zu schaffen, die selbst zu einem Teil der Stadt werden, eine neue Facette hinzufügen, den Klang der Stadt um einen Ton erweitern. Die Supernova steht für Bewusstein, Erleuchtung und Verwurzelung in Zeiten der Konfusion und Ablenkung.
Können Sie uns einen Einblick in Ihren Arbeitsalltag geben? Wie entstehen Ihre Ideen, und wie entwickeln Sie diese von der Konzeption bis zur Umsetzung?
Es gibt zwei Teile die grob zu unterscheiden sind: Der eine Teil in mir ist der reine Schöpfergeist, der ohne offiziellen Auftrag einfach kreiert und sich vollkommen frei leiten lässt. Die größte Herausforderung für mich in diesem Falle ist, diesem Prozess nicht durch Wollen im Weg zu stehen, durchlässig zu bleiben, mich selbst zu überraschen. Der andere Teil kann sehr konzeptionell an eine Sache gehen: Welche Thematik steckt im Auftrag und wie kann ich die perfekte Passung von Material und Fertigungsprozess hinbekommen? Sind meine Gedanken vom ersten Strich im Skizzenbuch bis hin zur Oberflächenbeschaffenheit und Installation konsistent umsetzbar oder nur ein Luftschloss? Oft ist mein Geist kurz vor dem Schlafengehen oder auch in der Phase vor dem morgendlichen Aufwachen am aktivsten und mein kreativer Gedankenfluss ist kaum zu stoppen – da ist es eher die Herausforderung die Ideenflut zu filtern, starke Kerngedanken auch mal zu notieren, damit sie nicht verloren gehen. Ein weitere interessante Konstitution ist der „No Mind-Zustand“, bei dem –ganz ohne aktive Bemühung- alle vorangegangen Ideen und Gedanken die bereits im Unterbewusstsein angelegt und vernetzt wurden, zwar ruhen, aber im entscheidenden Moment für die notwendige Lösung sorgen. Im kreativen Schaffensprozess ist es wichtig, die Freiheit zu haben, dass eine Idee einfach rauskommen darf.
»Philosophisch gesprochen ist Reflektion ja letztlich die Fähigkeit unseres Verstandes, Dinge zu verstehen, zu vergleichen, um sich weiter zu entwickeln – das heißt in diesem Fall, dass meine Skulpturen den Gedanken des Betrachters nicht direkt aufsaugen wird, sondern zurückspiegelt.«
Zum Abschluss, was sind Ihre zukünftigen Pläne und Projekte? Gibt es bestimmte Themen oder Techniken, die Sie in Zukunft erkunden möchten, und welche Ziele haben Sie sich als Künstler gesetzt?
Momentan ist für mich spürbar, dass ich mit meinem bisherig präferierten Werkstoff Holz bis zu einem gewissen Maß recht begrenzt bin, was die Skalierbarkeit angeht. Deshalb ist der digitale Transfer bisheriger oder neuer Kunstwerke in 3-D-Programme und die Umsetzung im Werkstoff Metall für mich sehr interessant. Durch den 3D-Metalldruck ergeben sich für mich ganz neue Möglichkeiten und Dimensionen, die ein regulärer Baumstamm so nicht bieten kann. Die Vorarbeit in kleineren Dimensionen wird ermöglicht und ich kann seriell denken, vorausschauend planen und meine Werke abschließend in viel größeren Maßstäben umsetzen. Auch wenn diese beiden Materialien zunächst extrem konträr erscheinen mögen, sehe ich durchaus Parallelen zu meinen Holzarbeiten; beispielweise bei der Victory-Skulptur, deren Kolorierung an eloxiertes Metall erinnert. Außerdem sind die Möglichkeiten und diversen Ausarbeitungsgrade der metallischen Oberflächenveredelung faszinierend und auch wichtig für die Witterungsbeständigkeit. Die Vorstellung, dass sich die jeweilige Umgebung in meinen Skulpturen spiegeln wird, finde ich faszinierend. Philosophisch gesprochen ist Reflektion ja letztlich die Fähigkeit unseres Verstandes, Dinge zu verstehen, zu vergleichen um sich weiter zu entwickeln – das heißt in diesem Fall, dass meine Skulpturen den Gedanken des Betrachters nicht direkt aufsaugen wird, sondern zurückspiegelt. Die Arbeit im 3D-Metalldruck wird mir komplett neue Welten eröffnen, es sind tolle Übergänge von schroff-matten Texturen zu spiegelpolierten Oberflächen möglich, was meine künstlerische Ausdrucksform um einen zusätzlichen Klang erweitern wird und ich freue mich schon sehr auf die ersten Ergebnisse.
Herr Ripperger, vielen herzlichen Dank für das offene Gespräch und die Einblicke in Ihre Arbeit.
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